Mephisto (Gast) - 5. Nov, 18:49

Berta lebt! Nein, sie ist tot! Sie lebt! nicht!

Hier auch eine nette Geschichte aus dem Alltag eines Rettungszivis.
Gerufen wurden ich und mein Kollege zu einer "bewusstlosen Person", damit wurde neben dem RTW (Rettungswagen, also kein Arzt) auch ein NEF (Notarzteinsatzfahrzeug/Akademikertaxi) verständigt.
Beim Eintreffen fanden wir die wohlbeleibte Dame, nenne wir sie "Berta", im engen Badezimmer bewusstlos auf dem Boden vor und freuten uns über das Erdgeschoss, denn sonst passiert sowas immer im 1. oder höheren Stock!.
Nachdem der mittlerweile eingetroffene Arzt Puls und Atmung festgestellt hatte, richtete ich die Trage und ein Tragetuch zum Abtransport.
Bei meiner Rückkehr ins Badezimmer hatte Berta sogar wieder die Augen aufgeschlagen und die Verwandtschaft ratterte gerade eine muntere Liste an Vorerkrankungen herunter, die man bereits durch die Körperfülle erahnen konnte.
Unser Notarzt freute sich über die aufgeschlagenen Augen und sagte "Dann helfen wir der Dame doch mal aufrichten uns setzen sie hier auf den Klodeckel".
Mein Kollege und der Kollege, der den Arzt gefahren hatte, wechselten kritische Blicke und befolgten die Anweisungen des Arztes. Und damit fängt das Elend an:
Berta klappt auf dem Klo zusammen und verliert erneut das Bewusstsein. Wir schafften sie daruafhin mit dem Tragetuch schnellstmöglich und schweißgebadet (wir, nicht Berta) auf die Trage, um dann am EKG den Herzstillstand und folgend die fehlende Atmung festzustellen.

Wir hatten uns also gerade eine Reanimation aufgeladen und müssen das volle Programm durchziehen.
Nachdem Berta intubiert war (Schnorchel zum Beatmen in den Hals und ein [zisch/pfeiff]-Beatmunsgerät dran) und wir rhytmisch auf dem Brustkorb rumdrückten oder Berta von selber tanzte, während wir ihren Speck mit dem Defi brieten, galt es ein Zielkrankenhaus abzuklären.
"Leitstelle, wir habe eine Reanimation [...] welches KH? Wie wäre es mit A?"
LS: "Ja, ich frag mal nach und melde sie an"
Wir fahren schonmal [tuckertucker, tatütata] in Richtung A los, doch nach wenigen metern hat die Leitstelle noch Neuigkeiten für uns.
LS: "Ne die nehmen zur Zeit net auf, ich frag mal bei B"
Wir bleiben stehen und warten. Ich berichte, dass wir es bei B probieren müssen und der Arzt: "die sind aber net geeignet nächstes wäre A". Soweit waren wir schonmal, aber die Leistelle hat immer wieder etwas aufmunterndes zu berichten.
Leitstelle: "B ist nicht begeistert, aber sie richten was her, damit ihr dort vorbei kommen könnt"
Handbremse raus/Gang rein, drehen und [tuckertucker, tatütata] in Richtung B, und teilen den Angehörigen mit, dass es ins KH B geht.
Also das Ziel wäre (angeblich) klar und es kann weiter gehen, wenn da nicht dieses Geräusch des ladenden Defis aus dem Patientenraum käme [düdeldüdeldü].
Von hinten "Halt mal an" und der Defi schreit schon, dass er bereit zum losschießen ist [düdeldüdeldü].
Also anhalten, nach hinten gehen uns assistieren, falls der eine bruzzelt, der Arzt zuguckt und sagt, was ich machen/aufziehen soll (aber er will nix!).
Nach dem Defi zeigt das EKG wieder "normales" Bild, aber mein Kollege meint "Ich fühle keinen Puls, verdacht auf EMD, soll ich die CP starten?"
Bemerkung für den 75kg DIN-Menschen ohne medizinische Vorkenntnisse: EMD heißt die elektrische Aktivität am Herzen ist ok, daher zeigt das EKG auch "normal", aber der Herzmuskel folgt den elektrischen Impulsen nicht und presst die Kammern nicht aus, es schlägt also trotzdem net. Dann fängt man (normalerweise) mit der CP an, also den Brustkorb zusammen zu drücken, damit das Blut weiter zirkuliert.
Arzt: "Nein, wir fahren weiter"
Ok, und weiter geht die gute Fahrt in Richtung KH B, Handbremse raus/Gang rein, [tuckertucker, tatütata], wäre da nicht die Leitstelle:
"Krankenhaus A nimmt doch auf und ihr seid angemeldet, fahrt mal dahin"
Anhalten, wenden [tuckertucker], ach ja und das [tatütata] und in Richtung KH A, wäre da nicht Berta:
[düdeldüdeldü] "Halt mal an": EKG-böse -> Bruzzelbruzzel -> EKG-gut -> "kein Puls, EMD, CP?" ->, "Nein, weiter" -> weiter -> Handbremse raus/Gang rein, [tuckertucker, tatütata].

[düdeldüdeldü] "Halt mal an": EKG-böse -> Bruzzelbruzzel -> EKG-gut -> "kein Puls, EMD, CP?" ->, "Nein, weiter" -> weiter??? ->
"Warte mal! Irgendwas ist anders als sonst" "Ja stimmt, irgendwas ist" "Ich hab auch son komisches Gefühl, weiss aber auch net weiter" und wir drei stehen um die Patientin und gucken uns ratlos an bis: "Ja! Hier ist es so ruhig" (grübelgrübel)(Stein fällt)(schlägt auf) "!: Die automatische Beatmung ist aus! Wir haben den Sauerstoff leergepumpt! Ich wechsel mal schnell die Flasche!"
Unser Beatmungsgerät ist druckgesteuert, mit dem Druck aus der Sauerstofflasche wird auch die Technik gesteuert und es gibt durchgehendes Geräusch von der Beatmungsmaschiene, während sie läuft. Ohne Sauerstoff lief sie aber net und wir mussten die Reserveflasche aufmachen.
Sauerstoff getauscht und es zischt auch wieder und wenn man genau hinsah, konnte man den Speck in winzigen Wallungen sehen, wenn der Sauerstoff eingeblasen wurde.
-> weiter! -> Handbremse raus/Gang rein, [tuckertucker, tatütata, zisch/pust].
[düdeldüdeldü] "Halt mal an". [s.o.]: EKG-böse -> Bruzzelbruzzel -> EKG-gut -> "kein Puls, EMD, CP?" ->, "Nein, TOT!"
An dieser Stelle sei angemerkt, dass die wenigsten Patienten (wenns nicht gerade die Einzelteile eines Motoradfahrer noch zuckend ins Auto geladen werden und dieser dann schneller ausblutet, als nachgefüllt werden kann) im RTW sterben. Die Patienten werden wenigstens noch unter "Reanimation" durch die Flügeltüren des Krankenhauses geschoben. Damit hat man keine Leiche im RTW und der Tot wird im Krankenhaus festgestellt.
Ein versterben im RTW und damit einhergehend die wesentlich umfangreicheren Desinfektionsmaßnahem, da rein rechtlich eben eine Leiche im Auto war, gibts es also durch dieses "hinauszögern" eigentlich nicht.
!Außerdem! Ist der Tot erst einmal festgestellt, müssten wir warten, bis die Pietät eintrifft und sie übernimmt (oder im Straßengraben ablegen ?) da wir die Leiche ja nicht einfach irgendwohin bringen können.
Davon versuchten wir auch unseren Arzt zu überzeugen aber er war fest davon überzeugt "Tot!". Meldung an die Leitstelle war dann auch "Unser Standort ist XY und die Dame ist verstorben"
LS: "???? Moment..."
In der zwischenzeit hatten auch die angehörigen erfahren wo, nennen wir sie "Berta", hingebracht werden soll und hat unseren RTW aufgespürt und klopft an. Der Arzt steigt aus... Der Arzt steigt ein: "Sie lebt wieder und wir fahren nach A"
Meldung an die Leitstelle: "Patientin lebt wieder, weiter Richtung A"
LS: "??? Hmm, ok, weiter nach A"
Wir hatten den Verdacht, dass unser Arzt es wohl nicht übers Herz gebracht hat den Angehörigen den Tot mitzuteilen, aber wir haben auch gar nicht weiter nachgefraht...
Handbremse raus/Gang rein, [tuckertucker, tatütata (weils ja sonst für die Angehörigen aufgefallen wäre), aber kein [zisch/pust]
Vor der rettenden Flügeltür erfolgte die Übergabe des Arztes an den KH-Arzt. Der genaue wortlaut war nicht zu hören, aber es war laut vom KH-Arzt zu vernehmen "Leichen nehmen wir nicht auf!".

WIESO ZUM TEUFEL KONNTEN WIR NICHT EINFACH MIT [PUST/ZISCH] [PIEPS] UND [DRAUFRUMDRÜCK] DURCH DIE TÜR FAHREN, UND DEN TOT DURCH DEN KH-ARZT AUF KH-GELÄNDE FESTSTELLEN LASSEN?

Nun gut, die Katastrophe war perfekt und nach längeren Verhandlungen war das KH so nett, uns ein Kühlfach und jemanden, der uns den Weg dorthin zeigte, zu stellen.
Wir zogen alle Schläuche und Nadeln aus Berta raus, warfen ihr ein schickes weißes Bettlaken über und rollten sie, bekleidet mir voller Rettungsdienstkleidung mit Logo, an den Besuchern und dem Personal des Krankenhauses durch die Flure in den Keller. Dort gings in ein Kämmerchen und der Pfleger sagte uns noch in welches Fach sie (mit den Füßen voran) soll und verschwand.
Wie hieften Berta also rüber auf die Mettallwanne, welche im Kühlfach versenkt werden konnte, und stießen auf weitere Hindernisse:
Der Umfang von Berta war einfach so groß, dass ihre Hände links und rechts von der Wanne fielen und wir sie nicht in das Fach brachten. Es half alles nichts und wir wussten auch erstmal nicht weiter, bis ein Kollege eine Mullbinde aus der Jacke zauberte. Wir fesselten also Berta, schoben sie ins Kühlfach und verschwanden...

Nun lässt sich spekulieren, ob Berta verstarb oder umgebracht wurde und von wem, aber das ist alles so verworren, dass sich darüber keine Aussage mehr treffen lassen wird.

Liebe Grüße an alle Notärzte, Rettungsdienstler, Pfleger/Schwestern und alles andere medizinische Personal

Gasmann101 (Gast) - 10. Mär, 13:44

Jaja.
Blaulichtwahnsinn @it's best.
Aber schön geschrieben, sehr Unterhaltsam
Bin Gasmann zZt beim Erwerb der Zusatzbezeichnung Notfallmedizin und hatte auch nach der ersten Woche RD ein Buch schreiben können...
Waldschratt - 10. Mär, 14:46

Das man seine eigene Art entwickelt, entwickeln muß, um mit den täglichen Tragödien fertig zu werden, ist klar. Auch dass der Umgangston in der Patho oder eben hier im RD etwas rauher ist dürfte ebenfalls bekannt sein.

... doch die meisten haben sich wenigstens einen Rest Respekt und Taktgefühl bewahrt, sowohl gegenüber den Verstorbenen als auch den Hinterbliebenen bzw., in diesem Fall, den Unbeteiligten!

Leider gehört Mephisto nicht zu diesen, wie sein "blumiger" Stil beweist! Meiner Ansicht nach qualifiziert er sich mit diesem Beitrag als unsensibel und nicht unbedingt geeignet für seinen (Zivi-) Job! Mir ist der Fall einer Krankenschwester bekannt, die wegen ähnlicher Äußerungen entlassen wurde!

Nicht umsonst heißt es im GG: "Die Würde des Menschen ist unantastbar!"


Nachsatz:
... und ich kann mir nicht helfen, irgendwo habe ich diese Story schon einmal gehört/gelesen... *grübel*

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